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Brian Laurins Streifzüge durch Literatur und Leben - Kolumne 11


Sich gemein machen mit dem Hass

Vor langer Zeit las ich Gustave Flauberts „Frau Bovary“; ich war vielleicht 15 und mich faszinierte an dem Roman vor allem die Sprache, der präzise Einsatz des „richtigen (passenden) Wortes“, der Fluss der Erzählung. Als ich mir jetzt diesen besonderen Roman wieder vornahm, verblüffte mich etwas Anderes: die grausame Vivisektion der bürgerlichen Schicht, die voll subtilem Hass als Inbegriff der Blödheit und Borniertheit porträtiert wird.

 

Der Arzt Bovary, der sich sein Diplom durch stures Auswendiglernen erarbeitet hat und aus Ruhmsucht und pekuniärem Interesse als unfähiger Chirurg eine experimentelle Operation am Klumpfuss eines einfältigen Wirtschaftsbediensteten durchführt – mit entsetzlichen Folgen – und seine Frau, dürstend nach dem großen Erlebnis, voller Verachtung für ihren stumpfen Mann, die unter Liebe nur den Rausch der Gefühle versteht und sich nach dem realen Abglanz von Groschenromangeschichten sehnt; beide verkörpern sie das Schlechteste, was die bürgerliche Klasse dieser Zeit hervorbringt, ein engstirniges Vertrauen in die eigenen Kräfte gekoppelt mit dem ausgesprochenen Unvermögen, weiter als bis zur unmittelbaren Begrenzung ihrer Klasse zu sehen.


Der schonungslose, sezierende Umgang Flauberts mit seinen Figuren kennt keine Milderung, bis in die feinsten inneren Regungen entblößt er ihre Beschränktheit, das Fußen auf irregleiteter Selbstüberschätzung, ihre charakterlichen Defizite. Und es gibt nichts, was diese Defizite auch nur ansatzweise aufwiegen würde. Allenfalls bietet die Affäre Frau Bovarys einen dreckigen Ausbruch aus der festgefügten Form bürgerlicher Konvention. Diese Härte erstaunt mich. Man kann sich mit dem Autor über seine armseligen Kreaturen beugen und sich genussvoll daran laben, wie sie in ihren Irrwegen zugrunde gehen; man kann aber sich aber auch vom Erzähler distanzieren und fragen, ob dies alles ist, was er zu bieten hat, diese gnadenlose Zurschaustellung seiner karikaturenhaften Kreaturen.


Als Gegengift empfehle ich David Foster Wallaces Wälzer „Infinite Jest“ (Unendlicher Spaß), bei dessen Lektüre es möglich ist, selbst den widerlichsten Gestalten Sympathie entgegen zu bringen, weil man sie ansatzweise versteht. Flauberts Hass auf seine eigene Klasse tropft aus jeder Zeile seines Romans. Der ein Meisterwerk ist, ein kunstvolles Gebilde, das eine exquisite Sprache auszeichnet. Meine Empfehlung für dieses Kunstwerk ist, es zu lesen, unbedingt, aber sich nicht einzulassen auf den grenzenlosen Abscheu, den der Autor den Insassen seiner Welt entgegen brachte. Es ist billig, sich an den Schändlichkeiten der Bovarys zu ergötzen und dabei nicht zu sehen, dass man sich mit dieser giftigen Sicht gemein macht. Wer eine vollständigere, humane Evokation literarischer Figuren wünscht, möge sich an Wallace halten, dort ist der Humor auch entlarvend, beschönigt nichts, zugleich atmet dieser Jahrhundertroman einen freieren, menschlicheren Geist.

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