Brian Laurins Streifzüge durch Literatur und Leben - Kolumne 8
Der doppelte Molloy
„Molloy“ heißt ein Roman von Samuel Beckett, zuerst erschienen 1955. Er gehört zu einer Serie von drei Romanen, die Beckett zwischen 1947 und 1950 schrieb (die anderen beiden sind „Malone Dies“ und „The Unnamable). Der Roman ist in zwei Teile unterteilt. Die titelgebende Hauptfigur des ersten Teils ist ein verwahrloster, gehbehinderter Landstreicher namens Molloy.
Molloy befindet sich im Bett seiner verstorbenen Mutter, dazu angehalten, einen Bericht über die Zeit davor zu verfassen. Einmal die Woche erscheint ein Mann, der Molloys Aufzeichnungen über seine Erlebnisse abholt und ihm den mit Markierungen versehenen Text der letzten Woche mitbringt, die Molloy allerdings nicht beachtet. Er berichtet, wie er davon getrieben war, seine Mutter zu erreichen. Auf seinen Irrwegen in einer Stadt, am Meer und in einem Wald verloren seine Beine zusehends ihre Funktionsfähigkeit. Am Ende wurde er von Unbekannten am Rande des Waldes eingesammelt.
Der zweite Teil, ebenfalls ein Bericht, stammt von einem Detektiv namens Moran. Moran erhält den Auftrag, Molloy aufzusuchen und bricht zusammen mit seinem Sohn zu Fuß auf. Anfangs noch ein pedantischer, egozentrischer Kleinbürger, der sich seinem Sohn gegenüber grausam verhält und sich dies als Charakterstärke auslegt, erleidet Moran im Verlauf seiner Wanderung physischen und psychischen Verfall; eines seiner Beine versteift, und er beschäftigt sich mit absurd erscheinenden religiösen Fragen. Sein Sohn verlässt ihn, Moran verwahrlost immer mehr, schließlich schleppt er sich über Wochen qualvoll nach Hause, ohne den Auftrag abgeschlossen zu haben. Eine Stimme beginnt zu ihm zu sprechen, so dass man vermuten kann, dass er an einer psychischen Krankheit leidet.
Die beiden Hauptfiguren des Romans erscheinen von ihrer jeweiligen Anfangssituation her sehr verschieden. Einerseits der aus allen sozialen Zusammenhängen herausgefallene Molloy, der nur von der einen Obsession vorangetrieben wird, zu seiner Mutter zu gelangen, andererseits der Detektiv, der ein Haus besitzt, die Messe der örtlichen Kirche besucht und Aufträge von einem mysteriösen Chef namens Youdi erhält. Doch gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den beiden. Beide machen sich zu Fuß auf den Weg um Ziele anzustreben, die sie nicht erreichen, beide erleiden Gebrechen, die sie zusehends erlahmen lassen, beide konzentrieren sich beim Verfassen ihrer Berichte auf minutiöse, ausufernde Details und nehmen kaum Notiz von ihrer Umgebung. Außerdem greifen beide einen Mann an, Moran tötet sein Opfer sogar. Es liegt nahe zu vermuten, dass Molloy und Moran ein und dieselbe Person sind und dass Morans Bericht zeitlich vor dem Molloys liegt.
So weit, so trist. Molloy ist als Lektüreerlebnis sicherlich nicht angenehm, wenn man erheitert oder aufgebaut werden will. Jedoch ist er allein aufgrund seiner Sprache interessant, sie hat eine fast hypnotische Qualität. Außerdem bietet er Gelegenheit, sich mit gewissen Voraussetzungen des Erzählens zu beschäftigen. So verunsichert der Text den Leser immer wieder hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Erzähler. Dies ist eben nicht eine Erzählung aus einer Welt von Motivation und Handlung, stattdessen sprechen hier Bewusstseine, die sich in einem Grenzland im Angesicht von Auflösung und Sinnlosigkeit befinden. Wer hier irgendwelche Antworten erwartet, wird enttäuscht, im Vordergrund steht die Erfahrung, einer Stimme zuzuhören, die etwas Anderes anbietet als Zerstreuung oder Ablenkung, nämlich den Verzicht auf die Illusion von Sinn und die Notwendigkeit, etwas zu erreichen.