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Edgar Barowski rezensiert „Träume aus Morphin“


(Werders Wohnzimmer im Mai 2013 in Karlsruhe, Foto: Patrick Paitz)

Edgar Barowski, hier im Mai 2013, spricht über

Alexander M. Neumanns Träume aus Morphin (07/2017)

In der Apotheke bekäme man für 15 Euro etwa ein halbes Gramm Morphin, dosiert in Retardtabletten zu 100 Milligramm. Beim Brot & Kunst Verlag bekommt man für denselben Betrag das 167 Seiten starke "Träume aus Morphin" von Alexander M. Neumann. Natürlich rezeptfrei und ohne Packungsbeilage, aber erstaunlicherweise auch ganz ohne einordnenden Klappentext. Denn nach einer Anleitung sucht man zunächst händeringend, wenn man dieses morbide Bündel aufschlägt und von schwarzen Seiten empfangen wird. Zu schwer schluckbar sind die eröffnenden Sätze, zu gross die Unsicherheiten darüber, worauf man sich hier einlässt: Ist "Träume aus Morphin" eine Sammlung von Kurzgeschichten, ein fragmentarischer Roman oder ein Erfahrungsbericht? Am ehesten noch ist es wohl ein wilder Kurzprosacocktail, der nichts ausschliessen will.


Man springt umher zwischen düsteren Monologen und verschwommen Szenen, in denen man nach und nach wiederkehrende Charaktere und Schauplätze zu erkennen beginnt: Da gibt es (oder gibt es nicht?) Kid Chronic, den Energydrinkjunkie, eine Anstalt auf dem Berg voller unentdeckter "Talente" und Dr. Thompson und sein Wartezimmer mit Sexheften. Grund und Richtung der Reise bleiben schlecht greifbar, aber durch alle Verschwommenheit der "Träume" hindurch sticht die Sprache Neumanns immer wieder wie eine Nadel. Offensichtlich Surreales steht so klar und unaufgeregt formuliert neben denkbar Realem, dass man auch solche Sätze vorbehaltlos annimmt:

»Auf Station 12 hustet sich jemand die Seele aus dem Leib. Die Seele klatscht auf den

Linoleumboden und kriecht mit letzter Kraft ans Ende des Flures, um dort zu sterben.«


Ja, hat man als Leser einmal akzeptiert, dass "Träume aus Morphin" nicht nur inhaltlich eine Menge mit Drogen zu tun hat, sondern auch in seiner Form einem "Trip" gleicht, dann ist es leicht, sich im Schwarz der Seiten einfach treiben zu lassen. Was sich einstellt, ist eine gewisse Dankbarkeit, so tief in den Keller einer Psyche absteigen zu dürfen, ohne einen Einstich am Arm davonzutragen.

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