Brian Laurins Streifzüge durch Literatur und Leben II - Kolumne 6
Verstrahlte Dschungelwelt
Die Geschichte ist Banane. In JG Ballards Science Fiction Roman „The Drowned World“ (1962, deutsch Karnival der Alligatoren und Paradiese der Sonne) sind die Temperaturen auf der Erde durch Sonnenprotuberanzen in die Höhe geschossen. Die Polarkappen sind abgeschmolzen, der Meeresspiegel stark gestiegen. London, wo die mobile Forschungsstation von Dr. Robert Kerans stationiert ist, steht unter Wasser. Die Vegetation und Tierwelt hat sich durch die veränderten Umweltbedingungen in den vergangenen zwanzig Jahren einem Zustand wie im Trias-Zeitalter angenähert: Riesige Farne und Leguane dominieren das Bild. Keran wohnt isoliert im halb versunkenen Ritz in einem Luxusapartment. Wie andere Mitglieder seines Teams und des Militärkreuzers, der sie begleitet, beginnt er eigenartige Träume zu haben, die in einer Welt lange vor menschlicher Erinnerung spielen. Die Theorie wird vorgebracht, dass dies primordiale Erinnerungen aus dem vormenschlichen Unbewussten sind, die angesichts der veränderten Umgebung ins Bewusstsein aufsteigen. Der Forschungsauftrag ist zu Ende, die Crew soll sich nach Norden begeben, doch Kerans, seine Geliebte Beatrice Dahl und Bodkins, sein Kollege, bleiben zurück unter der hypnotischen Macht ihrer Träume. Wochen später dringt ein Trupp von Schatzsuchern unter der Führerschaft des bedrohlichen Strangman in ihr Lagunenparadies ein; die Ereignisse werden immer chaotischer.
Die Geschichte ist Banane, weil sie nur dem Zweck dient, irgendeine Art von konventioneller Handlung vorzuzeigen, während das wahre Interesse des Autors in der Beschreibung der fantastisch veränderten Umwelt und in dem Eintauchen sich isolierender Bewusstseine in die Fiktion vormenschlicher Erinnerungen besteht. Der Leser und die Leserin müssen zurückstellen, was sie selbst über das menschliche Bewusstsein wissen oder glauben, und sich einlassen auf diese fantastische Welt und den seltsamen Einfall des Autors, damit die Wirkung des Romans sich entfalten kann. Dann stellt sich ein faszinierender Sog ein, den die Beschreibung dieser transformierten Welt und der Veränderung der Bewusstseine ausüben.
Andere Elemente des Romans hingegen fallen stark ab im Vergleich. Die Dialoge scheinen wie aus einem Schulbuch abgekupfert, sie sind hölzern und leblos. Der Plot, der einen Helden, eine bedrohte weibliche Figur und einen satanischen Bösewicht vorführt, klappert an allen Ecken und Enden. Dort liegen die Stärken des Romans eindeutig nicht. Jedoch versteht es der Autor, diese bizarre Welt sprachlich lebendig werden zu lassen und die brütende Hitze und Dschungelwelt plastisch erstehen zu lassen.
Auch wenn ich nicht, wie der Autor, Erfahrungen mit Landschaften Südost-Asiens vorweisen kann, ist mir aus Afrikaaufenthalten die Magie subtropischer Gegenden vertraut mit ihrer Hitze und ihrer überbordenden Vegetation, ihrer Üppigkeit und Fantastik. Auch kann ich etwas den Sog nachvollziehen, den eine tropische Welt auf den Betrachter, der in ihre Hitze und Schwüle eintaucht, ausüben kann.
„The Drowned World“ weist Stärken und Schwächen auf. Als Science Fiction Roman nimmt er in extremer Weise Auswirkungen des Klimawandels vorweg, wenn auch die Ursache hier eine andere, nicht menschengemachte ist. Seine Beschreibungen einer vorzeitlichen Welt, aufgepfropft auf die Überreste unserer Zivilisation, vermittelt eine Ahnung einer zukünftigen Zeit, in der die Menschen nicht mehr die Herrscher über ihre Umwelt sind. Der Weg des einsamen Bewusstseins hin zu einer Auflösung in Erinnerung und hypnotischer Verstrahlung nimmt einen Schwerpunkt des Romans ein. Wer sich schwertut mit solchen Annahmen, die der Geschichte geschuldet sind und nicht unbedingt auf empirischen Grundlagen fußen, wird mit diesem Roman nicht gut bedient sein. Wer sich jedoch auf seine Qualitäten einlassen kann, wird ein besonderes Lesevergnügen finden.
Anmerkung des Verlags: Hurra! Dies ist die sechste neue Kolumne von Brian Laurins Streifzügen durch Literatur und Leben. Weitere Texte werden im neuen Jahr folgen.
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