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Lutz Brien rezensiert „Ansichten eines Kleinwüchsigen“


Die Stimme des Außenseiters


Literatur lebt von Stimmen. Der Stimme Gullivers, des Riesen unter den Bewohnern Lilliputs. Der Stimme Oskar Maskeraths, des Erwachsenen im Körper eines Kleinwüchsigen. Oder der Stimme Olcays, des Zwergen türkischer Abkunft in Florian Arleths Roman „Ansichten eines Kleinwüchsigen“.


Olcay ist Außenseiter durch Herkunft, Körper, Lebenslauf. Perspektiven hat er keine, mit der Schärfe des Außenseiterblicks nimmt er die Gesellschaft um sich ins Visier und erleidet die Schmerzen des Verspotteten und Verhöhnten, er ist Opfer von Ignoranz und Dummheit. Einen gibt es, der sich ihm mit echtem Interesse zuwendet, einen Schriftsteller. Dieser entwirft Geschichten eines anderen Olcay, die dessen tristem Alltag Narrative aus einer größeren Welt entgegensetzen. Die Stimme Olcays erfährt Resonanz und Verwandlung. Der Außenseiter tritt in Beziehung.


Gerade der Umgang mit denen, die draußen stehen, verrät etwas darüber, wie eine Gesellschaft tickt. Dabei ist offene Feindschaft manchmal dem fanatischen, bevormundenden Bemühen um eine vermeintliche Verbesserung des Außenseiterstatus vorzuziehen. Aufgrund hehrer Ideale sich in das Leben anderer einzumischen und die echten Bedürfnisse eines Menschen zu ignorieren, befriedigt das missionarische Streben des rücksichtslos Wohlmeinenden, auch wenn dieser tatsächlich nur Schaden anrichtet.


Neben der Geschichte Olcays ist Arleths Roman auch ein metafiktionaler Kommentar zur Kunst, einen Roman zu schreiben. Man darf raten, inwiefern der Autor hier seine eigenen Ansichten einflicht und welche den Figuren zuzuschreiben sind.


Mit „Ansichten eines Kleinwüchsigen“ ist Florian Arleth ein Text gelungen, der auf mehreren Ebenen, darunter auch einer satirischen, überzeugt. Seine kunstvolle Sprache bietet dem Leser zudem ein großes erzählerisches Vergnügen. Ein Roman, der Eindruck hinterlässt.

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