Brian Laurins Streifzüge durch Literatur und Leben - Kolumne 7
Kafka revisited
Kafkas Romanfragment „Das Schloß“, erschienen 1926 in der von Kafkas Freund Max Brod verantworteten Fassung, bietet eine intensive Lektüre. Der im Prinzip simple Plot setzt an mit dem Eintreffen der Hauptfigur K. in einem unwirtlichen Dorf, das unter der bürokratischen Herrschaft des oberhalb des Dorfes thronenden Schlosses steht. K. strebt seine Anerkennung als vom Schloss bestellter Landvermesser an und lässt nichts unversucht, dieses Ziel zu erreichen.
Jedoch treten ihm von allen Seiten Hindernisse in den Weg, die Dorfbewohner geben ihm zu verstehen, dass er die Verhältnisse nicht kennt und nicht versteht, und die Beamten des Schlosses bleiben trotz aller Bemühungen K.s ungreifbar. K. geht eine Verbindung mit einer Schankhilfe ein, die ihn wieder verlässt, bekommt schlechte Unterkunft, sucht nach Verbündeten und Informationen über Schloss und Dorf. Sein Streben zermürbt ihn, Brod berichtet, dass K. im nicht geschriebenen Ende des Romans an Entkräftung sterben sollte, wobei ihm doch noch die vorläufige Anerkennung als Schlossangestellter zuteil würde.Seine Bemühungen bringen K. seinem Ziel nicht wirklich näher. Dabei geht er logisch-rational vor, stellt zielführende Fragen, konzipert ehrgeizige Pläne die Entscheidungsträger, die seine Situation stabilisieren könnten, direkt zu erreichen. Nur dass seine Gegenüber ihn mit labyinthischen Informationen konfrontieren, die für seine Zwecke nicht hilfreich sind.
K.s Geschichte ist die Geschichte eines fortwährenden Scheiterns an einer Umwelt, die, eingesponnen in eine Traumlogik, keine oder nur schlechte Lösungen für sein existenzielles Problem kennt. Die übermächtige Bürokratie des Schlosses, die ihren Ausdruck vor allem im vorauseilenden Gehorsam der Dorfbewohner findet, ist zwar extrem ineffektiv und wird durch lächerlich erscheinende Beamte repräsentiert, erweist sich aber als auswegslos, weil das gesamte System von Dorf und Schloss keine Lücke für K.s Anliegen bietet. K., der nach normalen menschlichen Maßstäben etwas ganz Annehmbares will, nämlich als bestellte Arbeitskraft anerkannt zu werden, erhält keinen Zugang zu der Instanz, die ihm weiterhelfen könnte.
Der Text wechselt zwichen hoffnungsvolleren Passagen, wenn K. seinen nächsten Schritt verfolgt, und einem stringent durchgeführten Versagen seiner Wünsche. Es kommen auch durchaus komische Passagen vor, die zum Teil slapstickhafte Elemente aufweisen. Die Ohnmacht K.s jedoch erfährt keine Unterbrechung oder Auflösung. Ein Alptraum, der sich von Anfang bis Ende durchzieht.Kafkas Romangeschehen scheint zunächst einem Paralleluniversum zu entstammen, in dem zwar die bekannten physikalischen Gesetze gelten, deren Bewohner sich allerdings wie in einem Alptraum verhalten, aus dem es kein Entkommen gibt. Elemente des Romans lassen sich jedoch durchaus in der Realität wiederfinden. So können Erfahrungen mit realen Behörden Anklänge an die Vergeblichkeit und Surrealität von K.s Erlebnissen aufweisen. Auch kann eine Krankheit, die keine Besserung nehmen will trotz intensiver Suche nach Heilung, etwas von der angestrengten aber letztlich aussichtslosen Bemühung K.s aufweisen.
Am interessantesten sind aber die Denkmuster der vom Schlosssystem vereinnahmten Figuren. Das Im-Kreis-Gehen dieses Denkens hat viele Anknüpfungspunkte in der Realität. Kafkas Roman ist so ein Vergrößerungsspiegel für eine allgemeine menschliche Tendenz, sich innerhalb eines Gedankensystems abzukapseln und weder Logik noch rationalen Argumenten zugänglich zu sein.Das Große an Kafkas Dichtung ist seine reiche Interpretationsfähigkeit auf vielen Ebenen. „Das Schloß“ ist auch (von Max Brod) als Suche nach einem sich entziehenden Göttlichen interpretiert worden. Durch seinen Reichtum an Beschreibungen realer Vorgänge liefert es eine Vielzahl von Ansatzpunkten für Betrachtungen über Bürokratie, Herrschaft, zwischenmenschliche Beziehungen und existenzielle Probleme. Zentral für seine ganz eigene Atmosphäre ist das beharrliche, trotz aller Widerstände durchgehaltene Streben K.s nach Anerkennung, das stets von einer niemals aufgehobenen Ohnmacht begleitet wird.